Lehrer:innenmangel durch G9 in Bayern
Nach der Abschaffung des achtjährigen Gymnasiums (G8) in Bayern 2018 erreichen im Jahr 2025 die ersten Schüler:innen des neuen G9 erstmals die 13. Klasse. Dadurch ergibt sich die besondere Situation an bayerischen Gymnasien, dass es 2025 zu einem sprunghaften Anstieg des Lehrkräftebedarfs kommt, denn der zusätzliche Jahrgang muss weiter unterrichtet werden. Auch wenn die Rückkehr zu G9 aus bildungspolitischer und pädagogischer Sicht sinnvoll sein mag, werden mehrere Systeme zugleich vor große Herausforderungen gestellt:
- An den Gymnasien kommt es zu einem akuten Personalmangel.
- An den Hochschulen verzögert sich der Studienbeginn eines gesamten Jahrgangs.
- Potentielle Arbeitgeber:innen erhalten deutlich weniger Bewerbungen.
Darüber hinaus ist festzustellen, dass sich der Personalmangel an den Gymnasien nicht auf das Jahr 2025 beschränkt. Vielmehr ist auch für die folgenden Jahre von einem nicht gedeckten Bedarf auszugehen, wie hier beispielhaft an den Zahlen für Bayern deutlich wird.1
Da der Beschluss zur Rückkehr zu G9 in Bayern bereits 2018 gefasst worden ist, läge es nahe zu denken, dass es genug Zeit für Maßnahmen gab, um sich auf den neu hinzugekommenen Jahrgang vorzubereiten. Die Abbildung oben zeigt allerdings, dass im Jahr 2025 der Bedarf das Angebot etwa um das Doppelte übersteigt. Wäre es möglich gewesen, frühzeitig entsprechende Planungen zu treffen, zumal der Bedarf auch in den Folgejahren nicht gedeckt werden kann?
Szenarienrechnungen als Entscheidungsgrundlage
Im wirtschaftlichen wie staatlich-behördlichen Kontext werden in vielen Fällen Daten genutzt, um für ausgewählte Phänomene zukünftige Entwicklungen abschätzen zu können. Im obigen Beispiel des besonderen Lehrkräftebedarfs im Jahr 2025 haben wir gesehen, wie bereits eine einfache Analyse Entscheidungsprozesse gezielt unterstützen kann, anstatt sich nur (im Extremfall) auf ein Bauchgefühl zu verlassen.
Komplexere Berechnungen gehen deutlich weiter, sie berücksichtigen nicht nur eine Vielzahl von Einflussfaktoren, sondern idealerweise auch unterschiedliche mögliche Entwicklungen in der Zukunft. Entscheidungsverantwortliche haben so die Möglichkeit, verschiedene Szenarien und potentielle Änderungen der Rahmenbedingungen kritisch abzuwägen sowie unterschiedliche Perspektiven einzunehmen. Ein konkretes Beispiel einer solchen elaborierten Berechnung liefert das Beispiel zur Prognose des Fachkräftebedarfs in Bayern bzgl. Erzieher:innen im vorschulischen Bereich.
Hier werden vier Szenarien anhand der Veränderung zweier Variablen erstellt: der Betreuungszeit in KiTas (“BZ” = Zahl an Wochenstunden pro Kind) sowie des Personalschlüssels (“PS” = Fachkraft-Kind-Relation). Davon ausgehend wurde pro Szenario der jeweils zu erwartende Arbeitskräftebedarf ermittelt. Wie die folgende Graphik zeigt, steht hinter Szenario III die vermutlich beste Kombination an Rahmenbedingungen, um der Betreuung von Kindern annähernd gerecht zu werden (“nur” 3400 fehlende Fachkräfte für 2023–2025).
Für die Situation der bayerischen Gymnasien hätte sich eine solche Szenarienrechnungen ebenfalls angeboten, um die Effekte unterschiedlicher Maßnahmen auf den Lehrkräftemängel frühzeitig beurteilen zu können. Für kurzfristige Maßnahmen ist es jetzt wiederum zu spät, da wesentliche Schritte bereits vor Jahren hätten eingeleitet werden müssen, beispielsweise um mehr Lehrkräfte auszubilden.
Planbare Bildungsverläufe
Die schulpolitischen Herausforderungen, die wir oben anhand des bayerischen Lehrerkräftemangels gesehen haben, sind exemplarisch und lassen sich auf weitere Bereiche übertragen. So fehlen in Deutschland aktuell etwa 430.000 Kita-Plätze2 und perspektivisch 68.000 Lehrer:innen2. Der Staat handelt hier zu langsam, trotz geltender Rechtsansprüche.
Aus technologischer Perspektive besitzen wir hingegen schon heute die Möglichkeiten, die komplexen Zusammenhänge im Bildungssystem im Griff zu behalten und dabei unter Berücksichtigung zahlreicher Einflussfaktoren zukünftige Entwicklungen sichtbar zu machen. Wir von kaleidemoskop knüpfen genau hier an: Wir gehen von dem Ansatz aus, dass sich Prozesse im Bildungssystem durch die uns zur Verfügung stehenden (und immer weiter wachsenden) Datenmengen auf virtueller Ebene reproduzieren lassen. So lassen sich Bildungsverläufe mithilfe von »digitalen Zwillingen« simulieren, zukünftige Entwicklungen prognostizieren und somit auch die notwendigen schulpolitischen Entscheidungen unterstützen. Für unsere Szenarienrechnungen betrachten wir dabei folgende Faktoren
- Demografische Veränderungen: Veränderungen in der Altersstruktur der Bevölkerung, wie beispielsweise eine sinkende Geburtenrate, wirken sich auf den Bedarf an Kita- und Schulplätzen und somit auch auf den Fach- und Lehrkräftebedarf aus.
- Betreuungswunsch: Immer mehr Menschen, insbesondere in Westdeutschland, wünschen sich eine Betreuung ihrer Kinder im Vorschulalter. Gerade mit Blick auf den Fachkräftemangel ist eine Bedarfsdeckung ein entscheidender Faktor, denn nur bei einer zuverlässigen Betreuung können betroffene Eltern selbst arbeiten gehen.
- Zuwanderung: Binnen- und Außenmigration können neben den Geburtenraten einen erheblichen Einfluss auf die Zahlen an Schülern und Kindern im Vorschulalter haben. Durch den Zuzug in eine bestimmte Region kann sich somit der Bedarf an Kita- und Schulplätzen sowie an Fachkräften weiter verschärfen.
- Sprunghafte Zuwanderung: Durch den Ukraine-Krieg haben wir einen abrupten Anstieg an Kindern im Land erlebt, die ebenfalls in die Kita und in die Schulen gehen dürfen und auch sollen.
- Sozioökonomischer Status: Menschen mit viel Geld können mitunter nicht-staatliche Betreuungsalternativen wählen, wie etwa Au Pairs oder Nannies. Menschen mit weniger Geld haben diese Möglichkeiten nicht. Langfristige Veränderungen in der ökonomischen Situation einer bestimmten Region (z.B. durch eine deutliche Erhöhung der Arbeitslosenzahlen) können sich somit zusätzlich auf den Fachkräftebedarf in Kitas auswirken.
- Bildungspolitik: Änderungen in der Bildungspolitik, wie beispielsweise die Einführung von verpflichtenden Kindergartenjahren oder anderen bildungspolitischen Reformen, haben das Potential, den Bedarf an Fachkräften wesentlich zu beeinflussen.
- Wohnungsbau und Stadtentwicklung: Auch die Entwicklung neuer Wohngebiete oder Stadtteile wirkt sich auf die Bedarfe aus, da neue Familien mit Kindern in die Region ziehen.
Länder und Kommunen haben nur begrenzte Mittel, um eine solche Vielzahl von Faktoren zu berücksichtigen, weshalb sie sich letztlich nur auf vage Planzahlen beziehen können. Wir von kaleidemoskop bieten daher ein innovatives Verfahren an, bei welchem das vielschichtige Zusammenspiel der Einflussfaktoren in die Modellrechnungen einfließt, um so die Planbarkeit zu verbessern und mögliche Szenarien zu erstellen. Wir unterstützen damit schulpolitische Entscheidungsträger*innen, um letztlich so die Bildungsqualität zu verbessern.
1 Der Lehrkräftemangel betrifft darüber hinaus auch andere Schulformen (Mittel-, Real- und Berufsschulen, nicht aber Grund- und Förderschulen; vgl. Bayerische Lehrerbedarfsprognose 2023, S. 24–35; www.km.bayern.de/statistik)
3 https://deutsches-schulportal.de/bildungswesen/lehrermangel-bleibt-bundesweit-ein-problem/