Digitaler Zwilling von Rostock

Wir entwickeln einen digitalen Zwilling der Gesellschaft der Stadt Rostock, um datenbasierte Entscheidungen zu ermöglichen, Bürgerbeteiligung zu fördern und die Stadtverwaltung bei der Planung und Umsetzung von Projekten zu unterstützen. Der Prozess beginnt mit der Erstellung von hypothesengetriebenen Personas, die im weiteren Verlauf durch reale Daten validiert und zu einem digitalen Zwilling weiterentwickelt werden. Dieser Zwilling ermöglicht es der Stadtverwaltung, Simulationen durchzuführen, die Auswirkungen von politischen Maßnahmen abzuschätzen und die Stadtgestaltung gezielt zu verbessern.

Schritt 1: Entwicklung hypothesengetriebener Personas

Ziel

Erstellen von ersten, auf Annahmen basierenden Personas, die die unterschiedlichen Gruppen in der Stadt repräsentieren, um deren Bedürfnisse und Verhaltensweisen besser zu verstehen.

Vorgehen

Personas definieren: Zunächst werden mithilfe von Workshops, Experteninterviews und verfügbaren demografischen Daten (z. B. Altersverteilung, Einkommensniveau, Bildungsstand) erste Annahmen über die Bewohner, Touristen und Pendler der Stadt entwickelt. Es wird überlegt, welche unterschiedlichen Bedürfnisse, Gewohnheiten und Erwartungen die einzelnen Gruppen haben könnten. Beispiele für Personas:
      • Die junge Familie: Ein Paar in den Dreißigern mit zwei kleinen Kindern. Sie wünschen sich sichere Spielplätze, gute Kinderbetreuungsmöglichkeiten und Wohngebiete, die von Verkehrs- und Umweltbelastungen verschont bleiben.
      • Der Pendler: Ein 45-jähriger Berufspendler, der täglich von einem Vorort nach Rostock zur Arbeit fährt. Ihm sind zuverlässige öffentliche Verkehrsmittel, Stauvermeidung und ausreichend Parkmöglichkeiten wichtig.
      • Der Tourist: Eine 60-jährige Frau, die Rostock für einen Kurzurlaub besucht. Sie interessiert sich für kulturelle Sehenswürdigkeiten, maritime Erlebnisse und möchte einen einfachen Zugang zu touristischen Informationen haben.
      • Der Senior: Ein 75-jähriger Rentner, der sich leicht zugängliche Gesundheitsangebote, gut ausgebaute Fußwege und barrierefreie öffentliche Verkehrsmittel wünscht.

Mehrwert

Diese Personas helfen dabei, erste Annahmen über die Bedürfnisse der verschiedenen Gruppen zu treffen, um auf dieser Basis die Stadtentwicklung und Bürgerbeteiligung besser planen zu können.

Schritt 2: Validierung und Weiterentwicklung zu datenbasierten Personas

Ziel

Überprüfung und Anpassung der hypothesengetriebenen Personas anhand realer Daten, um ein genaueres Bild der Gesellschaft zu erhalten.

Vorgehen

Datenquellen nutzen: Im nächsten Schritt werden Daten aus verschiedenen Quellen analysiert, um die Hypothesen der Personas zu überprüfen und anzupassen. Dazu gehören:

    • Mobilitätsdaten (z. B. Nutzung von ÖPNV, Fahrradverleihsystemen).
    • Soziale Medien und Feedback-Tools, um die Meinungen und Bedürfnisse der Bürger zu erfassen.
    • Umwelt- und Verkehrsüberwachungsdaten, um die Belastungen in verschiedenen Stadtteilen zu bewerten.
    • Statistische Daten (z. B. Bevölkerungsstruktur, Wohnverhältnisse).

Datenanalyse und Anpassung der Personas: Durch die Auswertung dieser Daten können Annahmen validiert oder widerlegt werden. Beispielsweise könnte die Annahme, dass Senioren vorrangig öffentliche Verkehrsmittel nutzen, durch reale Daten widerlegt werden, wenn sich herausstellt, dass viele Senioren eher Taxidienste nutzen.

Erstellung neuer, datenbasierter Personas:

    • Die junge Familie bevorzugt Stadtteile mit Zugang zu Bildungseinrichtungen und Freizeitmöglichkeiten, was durch die Analyse der Wohnortverteilung und Nutzungsdaten von städtischen Dienstleistungen bestätigt wird.
    • Der Pendler hat eine hohe Unzufriedenheit mit der Parkplatzsituation, was durch die Analyse von Verkehrsdaten und Bürgerfeedback unterstützt wird.

Mehrwert

Diese datenbasierten Personas geben ein realistisches Bild der Gesellschaft und ermöglichen es, gezieltere Maßnahmen zu planen, die den tatsächlichen Bedürfnissen der Bürger entsprechen.

Schritt 3: Entwicklung eines digitalen Zwillings und Durchführung von Simulationen

Ziel

Entwicklung eines digitalen Zwillings, der als realitätsnahes Modell der Stadtbevölkerung dient und es ermöglicht, verschiedene Szenarien zu simulieren.

Vorgehen

Erstellung des digitalen Zwillings: Die datenbasierten Personas werden in einen digitalen Zwilling integriert, der die verschiedenen Bürgergruppen und deren Verhalten simuliert. Dabei werden zusätzlich Geodaten, Verkehrsdaten, Umweltdaten und Echtzeitinformationen eingebunden.

Simulationsmöglichkeiten:

    • Verkehrssimulation: Durch den digitalen Zwilling kann simuliert werden, wie sich der Bau einer neuen Straße auf den Verkehrsfluss, die Luftqualität und das Pendlerverhalten auswirken würde.
    • Bürgerbeteiligung: Die Bürger können durch digitale Plattformen ihre Meinung zu geplanten Maßnahmen äußern. Die Simulation zeigt, welche Auswirkungen Bürgerfeedback auf die Umsetzung haben könnte.
    • Notfallszenarien: Simulationen könnten zeigen, wie sich extreme Wetterereignisse auf die Mobilität und die Sicherheit der Bürger auswirken und welche Maßnahmen die Stadt ergreifen sollte.

Interaktive Bürgerplattformen: Der digitale Zwilling kann in interaktive Bürgerplattformen integriert werden, auf denen die Bürger Simulationen sehen und ihre eigenen Vorschläge einbringen können. Beispielsweise könnte ein Bürger simulieren, wie sich mehr Grünflächen auf seine Wohnumgebung auswirken würden.

Mehrwert

  • Bessere Planung: Stadtplaner können mithilfe des digitalen Zwillings fundierte Entscheidungen treffen, die auf realen Daten basieren.
  • Optimierte Bürgerbeteiligung: Bürger sehen in den Simulationen direkt die Auswirkungen ihrer Vorschläge, was die Akzeptanz und Beteiligungsbereitschaft steigert.
  • Proaktive Verwaltung: Die Stadtverwaltung kann zukünftige Herausforderungen frühzeitig erkennen und gezielte Maßnahmen zur Verbesserung der Lebensqualität entwickeln.

Fazit

Der digitale Zwilling der Gesellschaft der Stadt Rostock ist ein mächtiges Werkzeug, um eine datengestützte, transparente und bürgernahe Stadtentwicklung zu fördern. Durch die iterative Entwicklung von hypothesengetriebenen zu datenbasierten Personas bis hin zu einem dynamischen, digitalen Zwilling können Politik und Verwaltung die Bedürfnisse der Bürger besser verstehen und darauf eingehen, Simulationen durchführen und somit eine smarte, zukunftsfähige Stadt gestalten.

Demografischer Wandel in Kommunen

Viele Regionen, besonders in den neuen Bundesländern und in Nordrhein-Westfalen, verzeichnen einen starken Bevölkerungsrückgang aufgrund von Abwanderung und einer negativen Geburtenzahl. Dies führt meist zu einem schrumpfenden Steueraufkommen und damit zu einer sukzessiven Überalterung der Bevölkerung.

Eine zunehmend ältere Bevölkerung geht oft mit erhöhten Anforderungen im Bereich der Gesundheitsversorgung, der Pflege und der sozialen Unterstützung mit sich. Kommunen müssen entsprechende Dienstleistungen bereitstellen, was oft zu finanziellen Belastungen führt, da die Fallzahlen in der Verwaltung sich erhöhen1.

Insbesondere ostdeutsche Kommunen verzeichnen ein geringeres Steueraufkommen gegenüber den alten Bundesländern. Bildquelle: Bertelsmann Stiftung

Damit beginnt oft eine Abwärtsspirale, denn die sinkenden Steuereinnahmen aufgrund der schrumpfenden Bevölkerung führen dazu, dass die ohnehin schon oft angespannte finanzielle Situation der Kommunen schlechter wird. Es können dann oft kaum oder keine Investitionen getätigt werden, was sich oft direkt auf die Infrastruktureinrichtungen auswirkt. Schulen, Krankenhäuser oder öffentliche Verkehrsmittel haben eine geringere finanzielle Ausstattung und verkommen über die Zeit. Geschäfte sind oft nicht mehr ausgelastet, was dazu führen kann, dass sie geschlossen werden müssen, was wiederum die Attraktivität der Region für potenzielle Einwohner:innen verringert.

Herausforderungen für die öffentliche Verwaltung

Um diesen Herausforderungen zu begegnen, müssen die Kommunen langfristige Strategien entwickeln, die darauf abzielen, die Attraktivität der Regionen zu steigern, die Infrastruktur effizienter zu nutzen, die wirtschaftliche Entwicklung voranzutreiben und innovative Lösungen für die Bereitstellung von Dienstleistungen zu finden. Doch da die finanziellen Mittel fehlen, werden wichtige Maßnahmen aufgeschoben oder gar nicht erst umgesetzt.

Viele Kommunen haben ein negatives Finanzierungssaldo. Bildquelle: Bertelsmann Stiftung.

Die begrenzten Mittel könnten zum Teil dadurch ausgeglichen werden, dass man sich überregional vernetzt. Oftmals fehlt es jedoch an einer effektiven Zusammenarbeit und Koordination zwischen verschiedenen Akteuren auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene. Es mangelt an klaren Zuständigkeiten, Kommunikationskanälen oder Anreizen für die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Akteuren. Dies kann dazu führen, dass jede Gruppe ihre eigenen Ziele verfolgt, anstatt gemeinsam an Lösungen zu arbeiten. Ein weiterer Grund könnte in politischen oder bürokratischen Barrieren liegen, die die Zusammenarbeit erschweren. Möglicherweise gibt es unterschiedliche politische Interessen auf verschiedenen Ebenen der Verwaltung, die eine effektive Koordination behindern. Bürokratische Hürden wie etwa komplexe Genehmigungsverfahren können zudem die Umsetzung gemeinsamer Projekte erschweren.

In einigen Fällen fehlt es den Kommunen darüber hinaus an Unterstützung auf höherer politischer Ebene, sei es auf Landes- oder Bundesebene. Ohne angemessene finanzielle Unterstützung und Perspektive, politische Rahmenbedingungen und Förderprogramme können Kommunen Schwierigkeiten haben, effektiv auf den demografischen Wandel zu reagieren.

Selbst wenn die finanziellen Mittel da sind, können Veränderungen und Reformen auf Widerstand stoßen, sei es von politischen Entscheidungsträgern, Interessengruppen oder der lokalen Bevölkerung selbst. Dies kann dazu führen, dass notwendige Maßnahmen zur Bewältigung des demografischen Wandels blockiert oder verzögert werden. Einige Kommunen sind möglicherweise nicht in der Lage, sich schnell genug an die sich verändernden Bedingungen anzupassen. Dies kann auf bürokratische Hürden, politische Trägheit oder fehlende Innovationsbereitschaft zurückzuführen sein.

In vielen ländlichen Gebieten und kleineren Städten, insbesondere in den neuen Bundesländern, führt der Bevölkerungsrückgang zu einem Mangel an Fachkräften in verschiedenen Bereichen wie Gesundheitswesen, Bildung und Verwaltung. Das heißt, dass es oft an einer kritischen Masse kluger Köpfe mangelt, auch wenn wenige sich überaus bemühen.

Dieser Fachkräftemangel und die mangelnden finanziellen Mittel führen in einigen Kommunen dazu, dass sie keine langfristige Planung und Voraussicht haben, um sich angemessen auf den demografischen Wandel vorzubereiten. Sie reagieren oft unvorbereitet und adhoc auf die damit verbundenen Herausforderungen und haben Schwierigkeiten, effektive Lösungen zu entwickeln.

Entwicklung des Fachkräftemangels in der öffentlichen Verwaltung bis 2030. Bildquelle. PwC

Nicht verzagen: Weitblick durch Szenarien 

Es gibt jedoch einen Ausweg und Möglichkeiten, den Herausforderungen zu begegnen: Um die kommunale Verwaltung zu stärken gibt es Mechanismen und Handlungsempfehlungen, die einer PwC-Studiefolgend darauf basieren, das Angebot zu steigern und die Nachfrage zu reduzieren.

Angebot steigern

In eben jener PwC-Studie wird berechnet, dass durch die Vergrößerung und besseren Nutzung des Kandidatenpools die prognostizierte Lücke von 1,07 Mio. Arbeitskräften in der Verwaltung (siehe oben) um 460.000 verkleinert werden kann. Zu den vorgeschlagenen Maßnehmen gehören unter anderem eine Flexibilisierung des Renten- und Pensionseintrittsalters, die Erleichterung von Quereinstiegen und die Förderung der qualifizierten Zuwanderung.

Darüber hinaus können durch Investitionen in Bildungseinrichtungen und Ausbildungsprogramme Kommunen sicherstellen, dass ihre Bevölkerung über die erforderlichen Fähigkeiten und Qualifikationen verfügt, um den Anforderungen des Arbeitsmarktes gerecht zu werden.

Allerdings basiert diese Analyse maßgeblich auf Schätzungen und vernachlässigt die regionale Komponente. Die Handlungsempfehlungen können für sich alle richtig sein, doch stellt sich weiterhin die Frage, welcher Mix aus den Maßnahmen für welche Kommune der geeignetste und realisierbare ist. Diesen Besonderheiten tragen wir in Szenarien Rechnungen und kalkulieren, wie Kommunen ihren Weg finden.

Nachfrage reduzieren

Ein weiteres Potential von etwa 150.000 Arbeitskräften liegt laut der PwC-Studie in der Erhöhung der Effizienz der öffentlichen Verwaltung. Kommunen können durch verstärkte Zusammenarbeit auf regionaler und überregionaler Ebene Synergien nutzen und Ressourcen effizienter einsetzen, um gemeinsame Herausforderungen zu bewältigen.

Eine Möglichkeit hierfür liegt beispielsweise im „Einer für Alle“ (EfA)-Prinzip des BMI, das im Rahmen der OZG-Umsetzung eine nachhaltige, arbeitsteilige Arbeitsstruktur für die interföderale Zusammenarbeit etabliert hat. Dabei geht es darum, “dass ein Land oder eine Allianz aus mehreren Ländern eine Leistung zentral entwickelt und betreibt – und diese anschließend anderen Ländern und Kommunen zur Verfügung stellt, die den Dienst dann mitnutzen können.” Dies spart beispielsweise Kosten in der Entwicklung und dem Betrieb von Software, die in der Verwaltung genutzt werden kann. Durch die Digitalisierung von Prozessen können zudem Effizienzpotenziale gehoben werden.

Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, Kooperationen mit privatwirtschaftlichen Unternehmen einzugehen. Dieser unter dem Namen GovTech firmierende Ansatz meint, dass meist kleine Unternehmen (Start Ups) Technologien und Innovationen entwickeln, die der öffentlichen Hand, der Zivilgesellschaft oder auch der Politik zur Verfügung stehen sollen und diese unterstützen. Doch diese Kooperationen haben selbst auch Hürden, wie etwa in der Beschaffung und den meist sehr unterschiedlichen Arbeitsweisen.

Was wäre wenn?

Die genannten Möglichkeiten sollten im besten Fall in verschiedenen Szenarien berechnet werden, um robuste Lösungen für die öffentliche Verwaltung zu finden. Wir sehen jedoch noch weitere Potenziale, die Verwaltungen und Kommunen indirekt entlasten könnten.

Durch die Förderung des Ehrenamts könnten teilweise Aufgaben von der Zivilgesellschaft übernommen werden, die die Daseinsvorsorge beispielsweise älterer Menschen unterstützen können. Die Entwicklung von flexiblen und bedarfsgerechten Wohnkonzepten, die sowohl auf die Bedürfnisse älterer Menschen als auch auf die Bedürfnisse junger Familien zugeschnitten sind, kann dazu beitragen, die Attraktivität einer Gemeinde zu steigern und damit zu einer (finanziell) resilienten Kommune beitragen.

Durch den gezielten Ausbau von Pflegeeinrichtungen, Kinderbetreuungseinrichtungen, Freizeiteinrichtungen und anderen sozialen Dienstleistungen können Kommunen sicherstellen, dass sie eine hohe Lebensqualität für alle Bewohner bieten. Die Förderung von nachhaltiger Stadtentwicklung, einschließlich der Revitalisierung innerstädtischer Gebiete, der Schaffung von Grünflächen und der Verbesserung der Verkehrsanbindung, kann dazu beitragen, die Lebensqualität zu verbessern und die Attraktivität einer Gemeinde zu steigern.

Diese Maßnahmen müssen allerdings analysiert, abgewogen und priorisiert werden. Unsere digitalen Zwillinge der Gesellschaft erlauben genau dies, indem wir berechnen, wie sich die Gesellschaft unter verschiedenen Szenarien, mit unterschiedlichen Optionen und bei konkurrierenden Zielen verhalten könnte.

1 Bertelsmann Stiftung (Hrsg., 2023). Kommunaler Finanzreport 2023 – Finanzen als Voraussetzung und Hebel integrierter Nachhaltigkeitssteuerung.

2 Pricewaterhouse Coopers (PwC, 2022). Fachkräfte im öffentlichen Sektor – Warum wir dringend handeln müssen. Zehn Handlungsempfehlungen als Impuls für Entscheider:innen.

Lehrkräftemangel in Bayern

Lehrer:innenmangel durch G9 in Bayern

Nach der Abschaffung des achtjährigen Gymnasiums (G8) in Bayern 2018 erreichen im Jahr 2025 die ersten Schüler:innen des neuen G9 erstmals die 13. Klasse. Dadurch ergibt sich die besondere Situation an bayerischen Gymnasien, dass es 2025 zu einem sprunghaften Anstieg des Lehrkräftebedarfs kommt, denn der zusätzliche Jahrgang muss weiter unterrichtet werden. Auch wenn die Rückkehr zu G9 aus bildungspolitischer und pädagogischer Sicht sinnvoll sein mag, werden mehrere Systeme zugleich vor große Herausforderungen gestellt:

    1. An den Gymnasien kommt es zu einem akuten Personalmangel.
    2. An den Hochschulen verzögert sich der Studienbeginn eines gesamten Jahrgangs.
    3. Potentielle Arbeitgeber:innen erhalten deutlich weniger Bewerbungen. 

Darüber hinaus ist festzustellen, dass sich der Personalmangel an den Gymnasien nicht auf das Jahr 2025 beschränkt. Vielmehr ist auch für die folgenden Jahre von einem nicht gedeckten Bedarf auszugehen, wie hier beispielhaft an den Zahlen für Bayern deutlich wird.1

Einstellungssituation an bayerischen Gymnasien 2023–2033. Quelle: Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus (Hg.): Bayerische Lehrerbedarfsprognose 2023, S. 32. Abrufbar unter: www.km.bayern.de/statistik

Da der Beschluss zur Rückkehr zu G9 in Bayern bereits 2018 gefasst worden ist, läge es nahe zu denken, dass es genug Zeit für Maßnahmen gab, um sich auf den neu hinzugekommenen Jahrgang vorzubereiten. Die Abbildung oben zeigt allerdings, dass im Jahr 2025 der Bedarf das Angebot etwa um das Doppelte übersteigt. Wäre es möglich gewesen, frühzeitig entsprechende Planungen zu treffen, zumal der Bedarf auch in den Folgejahren nicht gedeckt werden kann?

Szenarienrechnungen als Entscheidungsgrundlage

Im wirtschaftlichen wie staatlich-behördlichen Kontext werden in vielen Fällen Daten genutzt, um für ausgewählte Phänomene zukünftige Entwicklungen abschätzen zu können. Im obigen Beispiel des besonderen Lehrkräftebedarfs im Jahr 2025 haben wir gesehen, wie bereits eine einfache Analyse Entscheidungsprozesse gezielt unterstützen kann, anstatt sich nur (im Extremfall) auf ein Bauchgefühl zu verlassen.

Komplexere Berechnungen gehen deutlich weiter, sie berücksichtigen nicht nur eine Vielzahl von Einflussfaktoren, sondern idealerweise auch unterschiedliche mögliche Entwicklungen in der Zukunft. Entscheidungsverantwortliche haben so die Möglichkeit, verschiedene Szenarien und potentielle Änderungen der Rahmenbedingungen kritisch abzuwägen sowie unterschiedliche Perspektiven einzunehmen. Ein konkretes Beispiel einer solchen elaborierten Berechnung liefert das Beispiel zur Prognose des Fachkräftebedarfs in Bayern bzgl. Erzieher:innen im vorschulischen Bereich.

Schematisierung der Szenarien-Berechnung zum Fachkräftebedarf von Erzieher:innen in Bayern 2023–2025. Quelle: Bock-Famulla, K., Girndt, A., Berg, E., Vetter, T., & Kriechel, B. (2023). Fachkräfte-Radar für KiTa und Grundschule 2023. Bertelsmann Stiftung (Hrsg.). Gütersloh, S. 16. URL: https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/publikationen/publikation/did/fachkraefte-radar-fuer-kita-und-grundschule-2023

Hier werden vier Szenarien anhand der Veränderung zweier Variablen erstellt: der Betreuungszeit in KiTas (“BZ” = Zahl an Wochenstunden pro Kind) sowie des Personalschlüssels (“PS” = Fachkraft-Kind-Relation). Davon ausgehend wurde pro Szenario der jeweils zu erwartende Arbeitskräftebedarf ermittelt. Wie die folgende Graphik zeigt, steht hinter Szenario III die vermutlich beste Kombination an Rahmenbedingungen, um der Betreuung von Kindern annähernd gerecht zu werden (“nur” 3400 fehlende Fachkräfte für 2023–2025).

Lehrermangel3
Differenz zwischen Angebot und Bedarf von KiTa-Fachkräften in Bayern 2023–2025. Quelle: ebd., S. 47.

Für die Situation der bayerischen Gymnasien hätte sich eine solche Szenarienrechnungen ebenfalls angeboten, um die Effekte unterschiedlicher Maßnahmen auf den Lehrkräftemängel frühzeitig beurteilen zu können. Für kurzfristige Maßnahmen ist es jetzt wiederum zu spät, da wesentliche Schritte bereits vor Jahren hätten eingeleitet werden müssen, beispielsweise um mehr Lehrkräfte auszubilden.

Planbare Bildungsverläufe

Die schulpolitischen Herausforderungen, die wir oben anhand des bayerischen Lehrerkräftemangels gesehen haben, sind exemplarisch und lassen sich auf weitere Bereiche übertragen. So fehlen in Deutschland aktuell etwa 430.000 Kita-Plätze2 und perspektivisch 68.000 Lehrer:innen2. Der Staat handelt hier zu langsam, trotz geltender Rechtsansprüche. 

Aus technologischer Perspektive besitzen wir hingegen schon heute die Möglichkeiten, die komplexen Zusammenhänge im Bildungssystem im Griff zu behalten und dabei unter Berücksichtigung zahlreicher Einflussfaktoren zukünftige Entwicklungen sichtbar zu machen. Wir von kaleidemoskop knüpfen genau hier an: Wir gehen von dem Ansatz aus, dass sich Prozesse im Bildungssystem durch die uns zur Verfügung stehenden (und immer weiter wachsenden) Datenmengen auf virtueller Ebene reproduzieren lassen. So lassen sich Bildungsverläufe mithilfe von »digitalen Zwillingen« simulieren, zukünftige Entwicklungen prognostizieren und somit auch die notwendigen schulpolitischen Entscheidungen unterstützen. Für unsere Szenarienrechnungen betrachten wir dabei folgende Faktoren

    • Demografische Veränderungen: Veränderungen in der Altersstruktur der Bevölkerung, wie beispielsweise eine sinkende Geburtenrate, wirken sich auf den Bedarf an Kita- und Schulplätzen und somit auch auf den Fach- und Lehrkräftebedarf aus.
    • Betreuungswunsch: Immer mehr Menschen, insbesondere in Westdeutschland, wünschen sich eine Betreuung ihrer Kinder im Vorschulalter. Gerade mit Blick auf den Fachkräftemangel ist eine Bedarfsdeckung ein entscheidender Faktor, denn nur bei einer zuverlässigen Betreuung können betroffene Eltern selbst arbeiten gehen.
    • Zuwanderung: Binnen- und Außenmigration können neben den Geburtenraten einen erheblichen Einfluss auf die Zahlen an Schülern und Kindern im Vorschulalter haben. Durch den Zuzug in eine bestimmte Region kann sich somit der Bedarf an Kita- und Schulplätzen sowie an Fachkräften weiter verschärfen.  
    • Sprunghafte Zuwanderung: Durch den Ukraine-Krieg haben wir einen abrupten Anstieg an Kindern im Land erlebt, die ebenfalls in die Kita und in die Schulen gehen dürfen und auch sollen.
    • Sozioökonomischer Status: Menschen mit viel Geld können mitunter nicht-staatliche Betreuungsalternativen wählen, wie etwa Au Pairs oder Nannies. Menschen mit weniger Geld haben diese Möglichkeiten nicht. Langfristige Veränderungen in der ökonomischen Situation einer bestimmten Region (z.B. durch eine deutliche Erhöhung der Arbeitslosenzahlen) können sich somit zusätzlich auf den Fachkräftebedarf in Kitas auswirken.
    • Bildungspolitik: Änderungen in der Bildungspolitik, wie beispielsweise die Einführung von verpflichtenden Kindergartenjahren oder anderen bildungspolitischen Reformen, haben das Potential, den Bedarf an Fachkräften wesentlich zu beeinflussen.
    • Wohnungsbau und Stadtentwicklung: Auch die Entwicklung neuer Wohngebiete oder Stadtteile wirkt sich auf die Bedarfe aus, da neue Familien mit Kindern in die Region ziehen.

Länder und Kommunen haben nur begrenzte Mittel, um eine solche Vielzahl von Faktoren zu berücksichtigen, weshalb sie sich letztlich nur auf vage Planzahlen beziehen können. Wir von kaleidemoskop bieten daher ein innovatives Verfahren an, bei welchem das vielschichtige Zusammenspiel der Einflussfaktoren in die Modellrechnungen einfließt, um so die Planbarkeit zu verbessern und mögliche Szenarien zu erstellen. Wir unterstützen damit schulpolitische Entscheidungsträger*innen, um letztlich so die Bildungsqualität zu verbessern.

1 Der Lehrkräftemangel betrifft darüber hinaus auch andere Schulformen (Mittel-, Real- und Berufsschulen, nicht aber Grund- und Förderschulen; vgl. Bayerische Lehrerbedarfsprognose 2023, S. 24–35; www.km.bayern.de/statistik)

2 www.bertelsmann-stiftung.de/de/themen/aktuelle-meldungen/2023/november/mehr-plaetze-und-bessere-qualitaet-in-kitas-bis-2030-wenn-jetzt-entschlossen-gehandelt-wird 

3 https://deutsches-schulportal.de/bildungswesen/lehrermangel-bleibt-bundesweit-ein-problem/